TG-Bericht 02/2005 home


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Biberacher Stadtmeisterschaft: Im Westen nichts Neues

Spannender Turnierverlauf

Die diesjährige Biberacher Stadtmeisterschaft erwies sich als noch spannender wie ihre vorherigen Ausgaben, da sich ein Spitzentrio bis kurz vor Schluß ein Kopf-an-Kopf Rennen lieferte. Die Sonderpreise waren zudem ebenfalls heftig umkämpft. Rückblickend ist man trotzdem versucht zu sagen: "Im Westen nichts Neues." Seriensieger Holger Namyslo konnte sich am Ende erneut durchsetzen und sicherte sich zum fünften Mal in Folge den Meistertitel, mußte aber trotz starken acht Punkten aus neun Runden lange Zittern, da Rückkehrer Oliver Weiß mit 7,5 aus 9 nur knapp hinter ihm lag. Rainer Wohlfahrt, der Namyslo vor sechs Jahren als Letzter den Titel entreißen konnte und seitdem mit hervorragenden Leistungen als "ewiger Zweiter" zum Raymond Poulidor des Biberacher Schachs wurde, kam dieses Mal bei 6,5 aus 9, aber mit Abstand bester Feinwertung des Turniers, als Dritter ein. Die ersten beiden Runden brachten nahezu ausnahmslos die erwarteten Ergebnisse und an der Spitze lagen die üblichen Verdächtigen. Die größte Überraschung war die Niederlage des alten Hasen Walter Scherer, der sich zuvor bereits friedlich von Robert Vetter getrennt hatte, gegen Reinhard Zielke. Damit fand sich Scherer überraschend im Tabellenkeller wieder, in dem sich auch der vereinslose und bis dahin unbekannte Thorsten Hansen befand. Dieser mußte nach einer Niederlage gegen Bertram Laub auch gegen Jürgen Dollinger die Waffen strecken. Die dritte Runde verlief ebenfalls fast wie erwartet, wenn auch Reimund Lutzenberger, Spitzenmann aus der Ersten weiter an Boden verlor. Im ersten Gipfelduell behielt dafür Namyslo souverän die Oberhand gegenüber Weiß. Die vierte Runde brachte dafür einen großen Paukenschlag mit sich: Rainer Wohlfahrt demontierte im Spitzenspiel den großen Favoriten Holger Namyslo und verschaffte sich einen exzellente Ausgangsposition. Der noch immer unbekannte Hansen unterlag dem Schussenrieder Urgestein Georg Janke, wohingegen Scherer den Ansturm der Jugend abwehrte und sicher gegen Armand Heim gewann. Zur Turniermitte war Wohlfahrt damit heißer Favorit auf den Gesamtsieg, während Weiß und Namyslo einem Rückstand hinterherlaufen mußten. Beim Ratingpreis für den besten Teilnehmer der unteren Setzhälfte hatte sich das Biberach Urgestein Walter Kreß einen kleinen Vorsprung vor seinem Schussenrieder Pendant Janke sowie Herbert Körner und dem Lichtensteiner Michael Rix erarbeitet. In den Runden fünf bis sieben nahm die Spannung weiter zu, obwohl die ganz großen Überraschungen ausblieben - mit Ausnahme der Spitzengruppe in Runde 6. Hier überrannte Oliver Weiß den bis dato verlustpunktfreien Rainer Wohlfahrt und wahrte seine letzte Titelchance. Da parallel Holger Namyslo gegen Reimund Lutzenberger die erfolgreicheren Figuren führte, lag nun ein punktgleiches Trio in Front, das sich gegenseitig bereits "im Kreis" geschlagen hatte. Dahinter folgte der Kornwestheimer Frank Zessin, der sich nach hartem Kampf gegen Richard Winter behaupten konnte. Zudem startete Thorsten Hansen eine beachtliche Serie und gehörte nach einem Remis in der siebten Runde gegen den Vorjahresträger des UH-Preises, Harry Pfriender, zur Verfolgergruppe im Ratingpreis. Bei diesem "Turnier im Turnier" hatten inzwischen Michael Rix und Peter Sikezdi die Führung von Walter Kreß übernommen. Walter Scherer kämpfte sich hingegen mit einem mehr als verdienten Remis gegen den Steinhausener Spitzenmann Andreas Schädler in die erweiterte Spitzengruppe des Gesamtturniers vor. Damit war der Boden für eine spektakuläre achte Runde bereitet: Schädler setzte dem Favoriten Namyslo ordentlich zu, ließ aber eine gute Chance ungenutzt und wurde am Ende niedergerungen. Weiß stand gegen den Ravensburger Spitzenspieler Vadim Reimche von Beginn an deutlich unter Druck, konnte sich jedoch befreien und hatte am Ende klare Vorteile. In einer Zeitnotschlacht gelang es Reimche mit guten Endspielkenntnissen gerade noch, die Partie Remis zu halten. Schlimmer erwischte es Wohlfahrt, der gegen Scherer stets aktiv agierte und klare Stellungsvorteile verbuchen konnte. Mit einem geschickten Manöver und viel taktischem Verständnis leitete Scherer jedoch die Wende ein und gewann als Favoritenschreck diese Schlüsselpartie. Nachdem sich der Pulverdampf verzogen hatte, lag Namyslo plötzlich und unerwartet einen halben Punkt vor Weiß, während Wohlfahrt mit einem Punkt Rückstand nur noch Außenseiterchancen hatte. Fast ebenso spektakulär war der Verlauf beim Ratingpreis: Michael Rix wurde vom Biberacher Verbandsligaspieler Oliver Rechtsteiner klar beherrscht und verlor entscheidend an Boden. Besser machte es Walter Kreß, der im Seniorenduell Peter Sikezdi niederringen konnte; Thorsten Hansen, als Nobody ins Turnier gestartet, hatte sich für diese Runde gezielt auf den Kapitän der Zweiten, Richard Winter, vorbereitet und mauserte sich mit einem schönen Sieg nach verkorkstem Turnierbeginn zum UH-Favoriten. Die dramaturgisch interessanteste Partie lieferten sich hierbei aber Georg Janke und Herbert Körner. Janke profitierte vom zu passiven Spiel seines Gegners, blieb jedoch selbst zu inkonsequent und Körner erarbeitete sich wieder gute Gewinnchancen. Als diese versandeten und alle mit einem Remis rechneten, führte ein letzter Durchbruchsversuch direkt in eine von Janke geschickt gestellte Endspielfalle, sodaß dieser erleichtert und glücklich einen ebensolchen Sieg davontragen konnte. In der Schlußrunde hofften die Verfolger von Holger Namyslo nun auf einen weiteren Coup des Favoritenschrecks Scherer, während sich abzeichnete, daß sowohl der UH-Preis als auch der Jugendpreis im direkten Duell vergeben werden sollten. Namyslo gab sich gegen Scherer jedoch keine Blöße und beherrschte die Partie souverän. Daher brachte ein ebenso souveräner Sieg gegen Frank Zessin für Oliver Weiß "nur" den noch immer exzellenten zweiten Platz. Daraufhin trennte sich Rainer Wohlfahrt im Zwillingsduell von seinem Bruder Frank friedlich und behauptete einen hochverdienten dritten Platz vor dem Ravensburger Reimche. Insbesondere in anbetracht des Turnierbeginns völlig überraschend beendete Walter Scherer seinen Sturmlauf trotz Abschlußniederlage mit sechs Punkten auf einen ausgezeichneten fünften Platz. Beim UH-Preis Finale trennte sich Janke unentschieden von Pfriender, allerdings konnte Rix davon nicht profitieren. Er vergab seine letzte Außenseiterchance mit einer mehr als unglücklichen Niederlage gegen den verbandsligaerfahrenen Adrian Stehr. Die Entscheidung fiel wie erwartet damit im Duell zwischen Hansen und Kreß. Letzterer hatte dem beeindruckenden Angriffswirbel seines Gegners wenig entgegenzusetzen und Thorsten Hansen sicherte sich mit starken 5,5 Punkten nicht nur den Ratingpreis, sondern auch den zehnten Gesamtrang. In der UH-Wertung folgten Georg Janke und Bertram Laub (je 5/9) sowie der überflügelte Walter Kreß (4,5/9). Mit seinem starken Finish und dem Abfangen von Walter Kreß sicherte sich der Ex-Biberacher Laub auch den Seniorenpreis. Angesichts seiner zwischenzeitlichen gesundheitlichen Probleme und einer kampflos verlorenen Partie durfte er sich damit über einen hochverdienten Erfolg freuen. Die Entscheidung im Jugendpreis blieb ebenfalls lange offen, da sich Seriensieger Armand Heim und Edgar Boda-Majer bis zur letzten Runde ein Kopf-an-Kopf Rennen lieferten und punktgleich ins direkte Duell gingen. Hier verbuchte der Herausforderer mit aktiverem Spiel bereits zwei Mehrbauern, konnte den deutlichen Materialvorteil aber nicht verwerten, sodaß Heim mit viel Mühe Remis halten konnte und mit vier Punkten bei besserer Feinwertung seinen am härtesten erkämpften Jugendtitel der letzten Jahre feiern durfte.



Großes Simultanturnier zur Siegerehrung

Zur Siegerehrung und Abschlußfeier gelang es der Schachabteilung ein interessantes Simultanturnier mit Frank Zeller zu organisieren. Zeller, gebürtiger Ostälbler und mittlerweile wohnhaft in Tübingen, ist hauptberuflich Schachspieler, -trainer und Autor. Der mehrfache Württembergische Einzelmeister errang 2001 den Titel eines Internationalen Meisters des Weltschachverbands FIDE und spielte bis zur vorletzten Saison mit den Stuttgarter Schachfreunden in der 1. Bundesliga. Zum Beginn der gerade abgelaufenen Saison wechselte er zur SG Schwäbisch-Gmünd, bei der er am 1. Brett in der zweiten Liga fleißig Punkte sammelte. Mit einer Spielstärke von 2383 DWZ gehört er seit Jahren zu den renommiertesten deutschen Schachspielern des süddeutschen Raums. An 21 Brettern durften die Teilnehmer der Stadtmeisterschaft und andere Schachinteressierte parallel versuchen, dem großen Favoriten ein Bein zu stellen. Hierbei gab es etliche spannende Partien. So hielt der Vertreter der Biberacher Presse, Reiner Schick, der zuvor bezüglich seiner Spielstärke sehr tiefgestapelt hatte, sehr lange mit, ehe er doch die Waffen strecken mußte. Noch besser machten es Jugendspieler Dominik Reinhard, der Ex-Biberacher Rainer Birkenmaier, "Zuzug" Andreas Hahn in seiner ersten Partie in Biberach sowie Bertram Laub und Oliver Rechtsteiner. Ihnen allen gelang mit einem Remis ein toller Erfolg. Mit ausgefallenen Eröffnungswegen und couragiertem Spiel sogar an den Rande einer Niederlage brachte Rainer Wohlfahrt den großen Meister, ehe sich beide in sehr unklarer Stellung doch auf ein weiteres Unentschieden einigten. Weitere kritische Partien blieben IM Zeller auch deshalb erspart, weil sowohl Holger Namyslo als auch Oliver Weiß verhindert waren. Damit hatte der Simultanspieler am Ende eine beeindruckende Bilanz von ungeschlagenen 18:3 Punkten aufzuweisen. Für alle Teilnehmer war die Veranstaltung aber trotzdem ein schönes Erlebnis und zusammen mit der folgenden Siegerehrung ein würdiger Abschluß für eine spannende und von Spielleiter Reinhard Zielke gut organisierte Stadtmeisterschaft.

Dirk Schindler