TG-Bericht 03/2020 home


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Biber in der Quarantäneliga: Vom Komet zum Fahrstuhl

Da der offizielle Spielbetrieb in den Ligen weiterhin ruht, suchte sich die Schachabteilung neue Herausforderungen und traf dabei auf den mehrfachen Deutschen Meister SG Solingen. Wie gehen die TG Biberach und der 12-fache Deutsche Meister aus Solingen, der zuletzt 2016 die langjährige Siegesserie der OSG Baden-Baden durchbrach, in einer Liga zusammen? Nun, Corona und das Internet machen es möglich. Als Ersatz für den regulären Spielbetrieb organisiert der württembergische Spitzenspieler Jens Hirneise einen virtuellen Spielbetrieb für Mannschaften im Internet. Seine Position als Redakteur der führenden Schachzeitschrift Rochade Europa half dabei vermutlich, jedenfalls fand die Turnierserie als "Quarantäneliga" in Deutschland schnell Verbreitung und ist mittlerweile auch international populär.

Sie startete am 15. März auf den Servern der Lichess-Plattform, hatte nach zwei Wochen bereits 100 Mannschaften mit 1200 Spielern verteilt auf fünf Ligen an Bord und ist schnell weiter gewachsen. Neben den "Internationalen 1. und 2. Quarantänebundesligen" geht es mittlerweile mit je drei Staffeln von Liga 3 bis 12, an denen auch immer mehr Schwergewichte Gefallen finden. Neben der SG Solingen stieg Anfang Mai z.B. auch der FC Bayern München ein. Zudem sind diverse internationale Mannschaften mit ihren Großmeistern am Start; Vizemeister der Bundesliga wurde bereits im April der schwedische Växjö SK.

Grundsätzlich können sich Mannschaften frei bilden, einen Vereins- oder Verbandszwang gibt es nicht. Jede neue Mannschaft muß sich aber aus der untersten Liga nach oben arbeiten. Gespielt wird jeweils Donnerstag- und Sonntagabend für je zwei Stunden. In Blitzschachpartien gegen Spieler anderer Mannschaften kann jeder Teilnehmer Punkte für das eigene Team sammeln. Anders als im normalen Schach liefert ein Sieg zwei Punkte, startet man eine Siegesserie, erhält man ab dem dritten Sieg in Folge gar vier Punkte. Außerdem kann man als "Beserker" seine Bedenkzeit freiwillig verkürzen und im Erfolgsfall damit seine Punktzahl weiter erhöhen. Zu Anfang kommen die besten fünf Spieler jeder Mannschaft in die Gesamtwertung. In höheren Ligen steigt die Zahl an und erreicht 12 Spieler in der Bundesliga. Die Tabellenposition wird am Ende durch die erspielten Gesamtpunkte bestimmt. Die besten drei Mannschaften in jeder Zehnergruppe steigen auf, die letzten drei Mannschaften steigen eine Liga ab.

Die Schachabteilung stieg bei ihrem Debüt in der Quarantäneliga Mitte Mai erst kometenhaft auf und traf nach vier Aufstiegen in Folge in Liga 6A schließlich in einer schweren Gruppe auf den ehemaligen Oberligakonkurrenten Schwäbisch-Gmünd und eben auf die SG Solingen. Den Abend dominierte Solingen mit 267 Punkten wie erwartet überlegen, mit deutlichem Respektabstand, aber dennoch starken 195 Punkten holten sich die Biber jedoch Platz 2 und den fünften Aufstieg in Serie. Daß die Gruppe kein Selbstläufer war, zeigt der Umstand, daß Oberligist Schwäbisch-Gmünd mit 147 Punkten als Vorletzter abstieg.

In Liga 5 scheiterte der direkte Durchmarsch anschließend knapp und plötzlich ging es in der Folge gegen den Abstieg. An einem schlechten Abend Ende Juni folgte so auch prompt der Rückfall in Liga 6, wo der nächste Hammer wartete. Gespickt mit zahlreichen Großmeistern, darunter mit dem 15jährigen Vincent Keymer das vermutlich größte deutsche Schachtalent aller Zeiten, befand sich dort nämlich mittlerweile Bundesligist SF Deizisau auf dem Vormarsch. Erwartungsgemäß konnte die TG nicht mit Deizisau mithalten und brauchte selbst vier Anläufe, dann war die Rückkehr in Liga 5 allerdings perfekt. Hier ging erst der Vorstoß in Liga 4 mehrfach nur knapp schief, ehe dann der Fahrstuhl wieder nach unten fuhr. Nachdem die Mann- schaftsstärke der Biber sommer- und ferienbedingt abnahm, kam es zu zwei ärgerlichen Abstiegen in Folge und Anfang August schlug man trotz inzwischen wieder guter Besetzung gar in Liga 8 auf. Wie es von dort aus weitergeht, hängt davon ab, ob sich wieder mehr Biber am Sonntag- und Donnerstagabend auf der Plattform einfinden.

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Nicht nur "direkt" am Brett, sondern auch im Internet erfolgreich: Wolfgang Mack (vorne), Holger Namyslo und Rainer Birkenmaier, hier noch mit Thomas Oberst (h.l.) bei der Siegerehrung zur Bezirksblitzmannschaftsmeisterschaft im Januar 2020
Fotograf: Martin Zebandt

Das Biberacher Onlineteam wird von Holger Namyslo organisiert und zusammengehalten. Das Gerüst in den Punkterängen bilden zusammen mit Namyslo insbesondere Wolfgang Mack und Rainer Birkenmaier. Mack und Birkenmaier scoren seit Wochen zuverlässig, konnten sich bereits jeweils 20 Mal in die Mannschaftswertung eintragen und halten einen Schnitt von 36 bzw. 35 Punkten pro Spieltag. Die Beiden halten auch die vereinsinternen Rekorde mit 64 Punkten in Liga 10 (Mack) und 61 Punkten in Liga 7 (Birkenmaier). Die drei "Leithammel" werden v.a. von Spielern aus dem Oberligateam und einigen Nachwuchskräften um Benedikt Pfeifer und Erik Hobson unterstützt. Maßgeblichen Anteil an den Erfolgen hatten auch einige ehemalige Biber wie Rüdiger Nickel und Manfred Lenhardt, die virtuell heimgekehrt sind, sowie die Spieler aus befreundeten Vereinen. Hier taten sich insbesondere ein Schwarzwälder Trupp, angeführt von dem Ex-Biberacher Daniel Müller, der SV Steinhausen und Thomas Herz aus Langenau hervor.

Einen amüsanten Nebeneffekt der Quarantäneliga gibt es übrigens auch. Da es keine Pflicht zu Klarnamen gibt, sind die Gegenspieler nicht immer zu erkennen. So ging es im Juni u.a. gegen "Heidi Klum". Angesichts der Spielstärke und den typischen Charakteristika der durchschnittlichen Schachspieler(innen) dürfte auf der Gegenseite jedoch eher ein bärtiger Osteuropäer als das bekannte Fernsehgesicht gesessen haben.

Verfasser: Dirk Schindler