TG-Bericht 02/2020 home


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Schach in Zeiten von Corona

Die Schachabteilung wurde von der Coronakrise – wie vermutlich alle anderen Abteilungen ebenfalls – kalt erwischt. Der Ligabetrieb neigte sich bereits dem Ende zu, viele erfreuliche Ergebnisse zeichneten sich ab und die Stadtmeisterschaft war gerade auf eine spannende Zielgerade gebogen. Es stand außerdem die Württembergische Blitzmannschaftsmeisterschaft in Heilbronn an, für die sich Biberach wieder einmal qualifiziert hatte, und diverse Verbandseinzelturniere hätten zahlreiche Biber angezogen. Im März wurde dann erst die Blitzmannschaftsmeisterschaft abgesagt, Mitte März wurde der Spielbetrieb eingestellt, die Stadtmeisterschaft ruht und alle Einzelturniere entfallen. Die Schachabteilung und der gesamte Verband wirkten wie schockgefrostet und das Schach kam für ein, zwei Wochen völlig zum Erliegen.

Wie ist die Ausgangslage? Ein kurzer Saisonrückblick

Im Ligabetrieb fehlen eigentlich nur noch jeweils ein oder zwei Spieltage pro Liga zum Saisonende. Nach ihrem unglücklichen Abstieg aus der Oberliga letztes Frühjahr hat die TG I mit starker Leistung und 15:1 Punkten bereits eine Runde vor Ende der Verbandsliga die Rückkehr in die Dritte Liga unter Dach und Fach gebracht. Die Krönung als Meister am letzten Spieltag ist nun jedoch auf unbestimmte Zeit verschoben. In der Bezirksliga zeigte die TG III als Aufsteiger gleichfalls gute Leistungen und spielte sich mit 5:7 Punkten bei nur zwei Niederlagen gegen die Spitzenteams ins Mittelfeld. Vor dem letzten Spieltag wäre der sportliche Nichtabstieg gesichert. Sorgen muß sich die Schachabteilung nur um die TG II machen. Die Mannschaft stand sich teilweise selbst im Weg und hatte teils auch großes Pech. Am drittletzten Spieltag fiel sie in einer extrem engen Landesliga plötzlich auf einen Abstiegsplatz zurück. Bei 4:10 Punkten und zwei ausstehenden Spieltagen ist die Rettung zwar noch möglich – dazu müßte die Saison aber fortgesetzt werden und die TG II die ausstehenden Begegnungen gegen die direkte Konkurrenz gewinnen.
Als fortwährender Erfolg erweist sich zudem die Spielgemeinschaft (SG) der Schachabteilung mit dem TSV Reute. Die beiden Teams der SG werden von Rainer Birkenmaier betreut und gecoacht und liegen mit ihren Ergebnissen voll im Soll. Zwar tat sich die SG I in der A-Klasse doch etwas schwerer als erwartet und mußte etliche knappe und bittere Niederlagen hinnehmen, doch reichen dem Aufsteiger 2:10 Punkte, um sich bereits am vorletzten Spieltag den sportlichen Klassenerhalt gesichert zu haben. Noch besser machte es das Nachwuchsteam SG II in der B-Klasse. Die Youngsters hielten sportlich auch mit den Topteams der Liga mit, vermieden deutliche Niederlagen und liegen mit 6:6 Punkten derzeit auf dem dritten Tabellenplatz. Da die Mannschaft am letzten Spieltag ohnehin spielfrei gewesen wäre, war die Saison für die SG II bereits beendet, als der Coronaschock eintrat.
Die Biberacher Stadtmeisterschaft schien sich Anfang März zur spannendsten Ausgabe seit langem zu entwickeln. Sollte Rainer Birkenmaier eine ausstehende Nachholpartie gegen Alexander Polch gewinnen, hätte er sich zurückgekämpft und zwei Runden vor Schluß zu Titelverteidiger, Seriensieger und Topfavorit Holger Namyslo aufgeschlossen. Bei jeweils 6 von 7 Punkten hätten beide einen deutlichen Vorsprung auf Rang 3, aber wer von beiden den Titel am Ende abräumt, wäre völlig offen. Noch enger ist das Rennen um alle Sonderwertungen. So haben zwei Runden vor Schluß jeweils sechs Spieler noch beste Chancen auf den Amateurtitel bzw. die Seniorenmeisterschaft. Angesichts der Hochspannung wäre es jammerschade, wenn das Turnier Corona-bedingt abgebrochen werden müßte.

Wie geht es weiter? Pläne des Verbands noch unklar

Wann und wie es im Schachsport weitergehen kann, ist derzeit noch unklar. Momentan wartet jeder auf die Entscheidung der 1. Schachbundesliga, die de facto außerhalb des Deutschen Schachbundes verfaßt ist. Diese Entscheidung soll kurz nach Redaktionsschluß des TG-Reports fallen und wird die Entscheidungen für die nachfolgenden Ligen bestimmen. Eine Mehrheit der Landesverbände, und auch der darin verfaßten Schachspieler, scheint mittlerweile eine Zusammenfassung der Saisonen 2019/20 und 2020/21 zu bevorzugen. Die aktuelle Saison würde also um 12 Monate gestreckt. Da in jeder Liga nur noch ein oder zwei Spieltage fehlen und diese dann im Frühjahr 2021 absolviert würden, bedeutet dies, daß für ein Jahr de facto kein Ligaschach mehr gespielt wird. Alle Einzel- und weiteren Mannschaftsturniere auf Verbandsebene entfallen vorerst ersatzlos.
Wie es mit (Präsenz-) Turnieren auf Vereinsebene weitergehen kann, ist ebenfalls noch völlig unklar. Dies hängt davon ab, wie sich die rechtlichen Einschränkungen und Empfehlungen entwickeln werden. Es dürfte auch davon abhängen, wie jeder Einzelne die Lage und das Risiko bewertet.
Aus Biberacher Sicht wäre es wichtig, daß die bisherigen Ligaergebnisse nicht annulliert werden. Die TG I hat den direkten Wiederaufstieg in die Oberliga ja bereits besiegelt (gehabt) und es wäre bitter, wenn ihr dieser Erfolg am grünen Tisch entzogen wird. Auch die erfolgreichen Klassenerhalte sollten honoriert und nicht durch eine generelle Nichtabstiegsgarantie entwertet werden. Als Sorgenkind bliebe die TG II, aber da hofft die Schachabteilung auf zwei erfolgreiche Abschlußspieltage, um den Klassenerhalt sportlich und aus eigener Kraft zu schaffen.

Wiederbelebung: Die Schachabteilung spielt wieder – online

Mit dem generellen Lockdown war die Schachabteilung im März erstmal in eine Schockstarre gefallen. Bedeutet das aber, daß der Schachsport in Biberach momentan völlig auf Eis liegt? Nicht wirklich. Die Schachabteilung hat den „regulären“ Spielabend nämlich wieder aufgenommen – online. Binnen einer Woche hatten sich Holger Namyslo und Ex-Biber Markus Mock (nun FC Ergolding) koordiniert und einen virtuellen Spielabend organisiert.
In der Tat haben sich deutschlandweit die Schachspieler schnell koordiniert, um im Internet virtuelle Vereinsabende aufzusetzen und Internetturniere zu organisieren. Zwar ist der direkte Kontakt mit dem Gegner schöner, aber Schachspielen kann man ohne weitere „echte“ Einschränkungen auch über das Internet. Zwar kommt es bei dem einen oder anderen gelegentlich zu technischen Problemen, aber insgesamt funktionieren die Internetschachklubs sehr gut. Als populärste Plattform hat sich in Deutschland (übrigens auch in Norwegen) Lichess.org etabliert, die ein kostenloses und werbefreies Spielen ermöglicht. Für die Schachabteilung haben Markus Mock und Holger Namyslo dort ein virtuelles Vereinsheim aufgesetzt, das sich zunehmender Beliebtheit erfreut. In Zeiten der Isolation ist es gut, wenn man wenigstens virtuelle Sozialkontakte hat, und anders als beim Fußball ändert sich das Spiel kaum. Das bedeutet auch, daß jeder Schachinteressierte per einfaches Kontaktgesuch beitreten kann. Die Türen der Abteilung stehen für Neumitglieder weiterhin weit offen.
Die Schachabteilung trifft sich weiterhin Freitagabends ab 20.00 Uhr und hat inzwischen mehrere Turniere mit unterschiedlichen Bedenkzeiten pro Spieler und Partie durchgeführt. Das Schöne ist, daß man bei diesen Turnieren als Teilnehmer beliebig oft pausieren und nach Bedarf innerhalb der Turnierzeit (d.h. des Spielabends) ein- und aussteigen kann. Bei der ersten Auflage gingen zehn Spieler an den Start. Es dominierte Holger Namyslo mit 46 Punkten aus 19 Partien deutlich vor seinen Verfolgern. Zum zweiten Turnier fanden sich dann schon 23 Spieler ein. Hier holte sich Oliver Weiß mit starken 60 Punkten aus 20 Partien den Sieg. Seitdem hat sich die Teilnehmerzahl auf ansehnlichem Niveau eingependelt und die Siegerliste weist weitere Schwergewichte wie Spitzenspieler Bernhard Sinz aus.
Ein Vorteil des virtuellen Spielabends ist, daß er die Teilnahme von etlichen ehemaligen bzw. alten Bibern erlaubt. Bislang kam es zu einer breiten Heimkehr ins „virtuelle Biberach“ durch Ehemalige und aktive „Legionäre“, die inzwischen vom Bayrischen über Stuttgart und Zürich bis Berlin und Rotterdam verstreut sind.
Für den Schachverband Oberschwaben hatte Bezirksspielleiter Namyslo außerdem die erste offizielle Bezirksinternetblitzmeisterschaft für Karsamstag angesetzt. Das Turnier fand 102 aktive Teilnehmer und bei einem spannenden Verlauf verpaßte Biber Wolfgang Mack mit 40 Punkten aus 19 Partien nur knapp den Sprung an die Spitze.
So gesellig und erfolgreich das Internetschach auch ist, ist die große Hoffnung doch, daß man spätestens 2021 wieder zum normalen Schach mit dem direkten persönlichen Kontakt zurückkehren kann.

Erfolgreiche Bilanz der letzten fünf Jahre – Ein Rückblick in Bildern

Die vergangenen fünf Jahre brachten der Schachabteilung etliche Erfolge, gelegentlich wurde gar eine Sensation verpaßt. Ein Rückschlag wurde prompt ausgebügelt.
Die TG I hatte sich bis 2019 in der Oberliga etabliert. In der Saison 2016/17 verpaßte sie gar nur äußerst knapp den sensationellen Aufstieg in die Zweite Bundesliga. Voriges Jahr kam es dann zu einem denkbar unglücklichen Abstieg nach dramatischem Verlauf des letzten Spieltags. Noch vor dem Coronaausbruch war die direkte Oberligarückkehr aber vorzeitig besiegelt.

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Mannschaftsessen vor erfolgreichem Oberligaspieltag in Erdmannhausen im Dezember 2016: Andreas Schulze, Rainer Birkenmaier, André Fischer, Holger Namyslo, Stanislav Sokratov, Oliver Weiß, Tobias Merk und Bernhard Sinz (von links)
Fotograf: unbekannt
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2016/17 auch in Schwäbisch-Gmünd nicht zu stoppen. Die TG I mit Holger Namyslo und Rainer Birkenmaier (von links)
Fotograf: André Fischer

Im Wind- aber auch Schlagschatten der TG I hat sich die TG II derweil in der Landesliga etabliert und in der Saison 2017/18 erst ganz am Ende als punktgleicher Zweiter den zuvor eigentlich für unmöglich gehaltenen Aufstieg in die Verbandsliga vergeben. Dieses Jahr muß allerdings noch um den Klassenerhalt gezittert werden.

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2017/18 beinahe in die Verbandsliga gesprungen: Die TG II beim Landesligaabschluß in Ravensburg: Nicolai Matuschek, Luzia Sander, Frank Zessin, Herbert Haberbosch, Tobias Merk und Daniel Müller (linke Tischseite von vorne)
Fotograf: Joachim Rothmund

Im Blitzschach hat sich die Schachabteilung zur Großmacht gemausert. Heuer feierte sie bereits den 11. Erfolg bei der Bezirksblitzmannschaftsmeisterschaft seit 2005. Auf Württembergischer Ebene ist man gleichfalls erfolgreich und spielte u.a. 2017 und 2018 ganz vorne mit. Die Krönung war aber sicherlich Platz 19 bei der Deutschen Blitzmannschaftsmeisterschaft 2017 in Herford.

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Volles Haus bei der Bezirksblitzmeisterschaft 2017 im TG Vereinsheim
Fotograf: Martin Zebandt
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Auch die TG II (hier gegen den SC Böblingen) schlug sich bei der Württembergischen Blitzmannschaftsmeisterschaft 2018 in Spraitbach stark: Rainer Birkenmaier, Holger Namyslo, Thomas Oberst und Wolfgang Mack (von rechts)
Fotograf: SVW
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Kräftemessen mit dem amtierenden Deutschen Meister SG Solingen bei Deutscher Blitzmannschaftsmeisterschaft 2017: Bernhard Sinz, Oliver Weiß und André Fischer (rechte Tischseite, von vorne)
Fotograf: DSB

Auch bei internationalen und Einzelturnieren war die Schachabteilung erfolgreich vertreten. Holger Namyslo holte 2018 bei der Deutschen Seniorenmeisterschaft Platz 3, nachdem er durchweg ganz vorne mitgespielt hatte. Dadurch durfte er auch Deutschland bei der Seniorenweltmeisterschaft in Bled vertreten – und löste auch diese Aufgabe als 24. unter 106 Teilnehmern mit Bravour.

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Holger Namyslo (Dritter von rechts) wird 2018 Dritter der Deutschen Seniorenmeisterschaft in Hamburg
Fotograf: DSB
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Seniorenweltmeisterschaft 2018: Holger Namyslo (links) gegen Großmeister Ram Soffer aus Israel
Fotograf: unbekannt

Auch mannschaftlich konnte man internationale Duftmarken setzen. Beim stark besetzten Internationalen Schnellschachturnier in Leutasch holte die Schachabteilung 2016 die Ränge 10 und 11 – die „Senioren“ der TG II bremsten dabei die „Youngster“ der TG I knapp aus.

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Starke „Senioren“ der TG II beim Internationalen Schnellschachturnier 2016 in Leutasch: Albrecht Weidel, Holger Namyslo, Rainer Birkenmaier und Manfred Lenhardt (von links)
Fotograf: André Fischer

Der vermutlich größte Erfolg der Schachabteilung ist aber wohl die Wiederbelebung der Jugendarbeit. Nach einem Dornröschenschlaf über mehr als 20 Jahre haben Rainer Birkenmaier beim Vereinsabend und Holger Namyslo als Übungsleiter an zahlreichen Schulen in Biberach eine ansehnliche Truppe junger und jüngster Schachspieler zusammen, die angeführt von den Leitwölfen Erik Hobson und Dennis Kiefel auch schon erste Erfolge feiert. Leider gibt es davon aber kaum Bildmaterial – daran sollte die Schachabteilung besser arbeiten.

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Schulmeisterschaft 2019 in Tübingen mit der Mannschaft des Pestalozzi Gymnasiums
Fotograf: unbekannt

Verfasser: Dirk Schindler